Waltraud Herbstrith
Edith Stein - Jüdin und Christin
München 1998
Darin stehen sehr umfassend die letzten Informationen über den Verbleib Edith Steins.
In der Nacht vom 6. auf den 7. August 1942 wurden in Westerbork die Namen derer verlesen, die deportiert werden sollten.
1. Zeuge: Pater Bromberg
Die Gefangenen stellten sich bei aufgehender Sonne zusammen. Zu Fuß ging es zum Lager hinaus.
2. Zeuge: Pfarrer Ferdinand Meckes:
Hat die leuchtenden Augen Edith Steins in einem Güterzug in Schifferstadt am 7. August 1942 (ohne Uhrzeit) gesehen und ihre Stimme gehört. Außerdem hat er einen Zettel der Stein aufgesammelt und an Bekannte weitergegeben (angeblich ohne ihn zu lesen).
3. Zeuge: Frau Else Eckrich:
Ferdinand Fouquet (Bahnhofsvorsteher) sagt ihr am 7. August 1942 nachmittags auf dem Bahnhof, daß er soeben Mit Frau Stein gesprochen habe, die in einem Güterzug nach dem Osten transportiert würde.
Dazu ist folgendes zu bemerken:
- Herr Meckes bezeugt ausdrücklich, daß auf dem Bahnsteig nur noch zwei Frauen waren. Also kann Herr Fouquet nicht dort gewesen sein.
- Herr Fouquet berichtet nichts davon, daß Frau Stein einen Zettel aus dem Zug geworfen habe und daß ein anderer Mann diesen an sich genommen habe.
- Die Entfernung von Westerbork nach Schifferstadt beträgt etwa 500 km. Wenn der Zug früh morgens in Westerbork abgefahren ist, kann er bequem nachmittags (d. h. 14:00 bis 17:00 Uhr) in Schifferstadt sein.
4. Zeuge: Johannes Wieners
Hat Edith Stein am 7. August 1942 in auf dem Bahnhof Breslau gesehen und mir ihr gesprochen. Keine Uhrzeit. Es muß jedoch hell gewesen sein, denn er kannte sie nicht, hat sich aber 6 Jahre später (1948) noch so gut an ihr Gesicht erinnert, daß er anhand eines Photos bezeugen konnte, daß seine Gesprächspartnerin Edith Stein war.
Kommentar:
- Die Entfernung zwischen Schifferstadt und Breslau beträgt ca. 800 km. Wenn es also noch hell war, dann war es spätestens 21:00 in Breslau. Bei 8 Stunden Dauer der Fahrt hätte die Abfahrt schon um 13:00 in Schifferstadt sein müssen.
Ich glaube, diese Zeugenaussagen lassen sich bei genauerer Betrachtung der Zeiten leicht ins Reich der Fabel verweisen.
Es gibt keine weiteren Hinweise auf den Tod der Edith Stein. Kein Mensch weiß, was passierte, wie es passierte, wo - wann - nichts.
An der Darstellung Waltraud Herbstriths ist insbesondere interessant, wie geschickt sie die fehlenden Hinweise auf Edith Steins Tod mit den "Offenkundigkeiten" (Lagerwiderstand, Raffinesse der Nationalsozialisten) vermischt, um eine schöne Geschichte zu basteln. Sie erwähnt sogar die "Todeslisten" aus Arolsen - aber nicht, daß der Eintrag "Edith Stein" natürlich fehlt.
Ermordung in Auschwitz- Birkenau
In der Nacht vom 6. auf den 7. August wurden die jüdischen Häftlinge im Lager Westerbork aufgeschreckt und die Namen derer verlesen, die zur Deportation bestimmt wurden. Fast alle Gefangenen wurden aufgerufen. Edith Stein hatte am Tag vorher gehört, die Transporte gingen nach Schlesien oder in die Tschechoslowakei. Man sprach von Arbeit in Bergwerken. Die Geschwister Löw dachten noch an Missionsarbeit. Edith Stein rechnete mit dem Schlimmsten, hatte sie doch von Deutschland her mehr Erfahrung als die anderen.
Pater Bromberg schildert in seinen Erinnerungen, wie die Gewänder der Ordensleute seltsam abstachen gegen die Kleider der anderen Gefangenen, die sich bei aufgehender Sonne als Riesenzug quer durch das Lager zusammenstellen mußten. "An Stelle der Gendarmen waren bewaffnete SS- Leute gekommen, und unter ihren groben und anschnauzenden Befehlen zog der lange Trupp aus dem Lager hinaus. Wir Zurückgebliebenen haben ihm noch sehr lange nachgewinkt. Das war das Letzte, was wir von diesem Transport gesehen haben."!
Ein anderer Bericht sagt aus, daß vor dem Abgang Zivilkleidung an die Ordensleute verteilt wurde. Wir wissen nichts Genaues. Die Züge fuhren in Richtung Deutschland, zum Teil über Schifferstadt/Pfalz. Wir haben zwei Augenzeugenberichte, einen von dem verstorbenen Stationsvorsteher Valentin Fouquet, einen von Pfarrer Ferdinand Meckes. Beiden hat sich Edith Stein vom Zug aus am 7. August 1942 bemerkbar gemacht. Fouquet sah eine dunkel gekleidete Dame, Meckes nur die Augen Edith Steins.
Meckes berichtet: "Von Speyer kommend, mußte ich in Schifferstadt den Anschluß nach Ludwigshafen abwarten, wo ich in St. Bonifaz Kaplan war. Es waren auf dem Bahnsteig noch zwei Frauen, nach meinem Dafürhalten zwei Lehrerinnen. Auf Gleis 5 fuhr ein langer Güterzug mit lauter geschlossenen Wagen und einem Personenwagen ein. Im Personenwagen waren Soldaten, und als ich bemerkte, daß in den Güterwagen Leben ist, dachte ich 'an Tiere. Dann hörte ich Stimmen und machte für mich die Bemerkung: ,Ach Gott, da sind ja Menschen drinnen; 0h, ihr Armen!' Beim kurzen Umschauen bemerkte ich am mit Stacheldraht vergitterten Oberlicht aus dem Dunkel zwei helle Augen, und es kam die Frage: ,Sind Sie nicht im Konvikt gewesen? Ich kenne Sie. Ich bin Schwester Benedicta, Edith Stein, Sagen Sie bitte liebe Grüße an Prälat Lauer und an die Schwestern von St. Magdalena. Wenn der Zug abfährt, lasse ich einen Zettel fallen." ' Herr Meckes nahm das Zettelchen, mußte es von den Schienen heraufholen, wohin es gefallen war. Ohne es zu lesen, gab er es den beiden Frauen.
Am 11. Juli 1985 erhielten wir im Edith-Stein-Karmel in Tübingen von Frau Else Eckrich aus Schifferstadt folgenden Bericht: "Am Nachmittag des 7. 8. 1942 stieg ich aus dem Zug, von Ludwigshafen kommend, auf dem Bahnsteig 2 in Schifferstadt aus. Ich befand mich in Begleitung von Frau Marie Berkel, geb. Schwind. Frau Berkel war die Schwester von Dekan Konrad Schwind, damals Pfarrer in Frankenthal-Mörsch, und die Nichte des 1927 verstorbenen Generalvikars Schwind. Sie wohnte im Elternhaus der Familie Schwind in der Ludwigsstraße. Der Bahnhofsvorsteher Valentin Fouquet kam uns ganz aufgeregt entgegen und sprach uns an: ,Jetzt kommt ihr - gerade ist der Zug hinausgefahren, in dem eine Frau namens Edith Stein war. Sie hat mich nach der Familie Schwind in der Ludwigsstraße gefragt und ob denn keine Angehörigen von der Familie da seien. Sie war enttäuscht, als ich das verneinen mußte. Sie bat mich dann dringend, dies auszurichten: Ich komme nach dem Osten. Grüßen Sie die Familie Schwind in der Ludwigsstraße.' Darüber waren wir sehr betroffen, denn Herr Fouquet teilte uns mit, daß das ein Gefangenentransport war."
Ein Leser der Kölnischen Rundschau, Johannes Wieners, schrieb zum vierzigsten Todestag Edith Steins, 1982, folgenden Bericht, der die vorigen ergänzen kann. Hier wird drastisch das Elend von Menschen geschildert, die bei größter Augusthitze quer durch Deutschland in Viehwagen transportiert wurden:
"Als Postomnibusfahrer im Postamt Köln-Deutz wurde ich am 15. Juni 1942 einem Feldpostamt zugestellt, bestehend aus achtzehn Mann, darunter drei Offiziere. Dort bekamen wir sechs Wochen militärischen Unterricht. So wurden wir ein Feldpostamt ZBV (zur besonderen Verwendung). Ich bekam einen großen Omnibus als fahrendes Postamt eingerichtet. Wir wurden auf Waggons verladen, Richtung Rußland, 6. Armee.
So standen wir am 7. August 1942 im Verschiebebahnhof in Breslau. Unsere Lok hatte abgehängt, um Wasser zu füllen. Nun lief auf unserem Nebengleis ein Güterzug ein und hielt neben uns an. Kurz darauf öffnete ein Wachposten die Schiebetür. Wir sahen Menschen zusammengepfercht, sehr apathisch auf dem Wagenboden gekauert. Wir waren erschrocken über den Gestank, der uns aus dem Wagen entgegenkam. Dann erschien an der offenen Tür eine Frau in Nonnenkleidung. Weil ich ihr teilnahmsvoll aussah, sagte sie: ,Es ist schrecklich, wir haben nicht einmal Behälter, um unsere Notdurft zu verrichten.' Sie sah in die Ferne auf die Stadt Breslau und sagte zu mir: ,Das ist meine Heimat, ich werde sie nie mehr wiedersehen.' Ich sah sie fragend an, da sagte sie zögernd: ,Wir fahren jetzt in den Tod.' Darüber war ich erschrocken. Dann fragte ich sehr ernst: ,Glauben ihre Mitgefangenen das denn auch?' Sehr stockend antwortete sie: ,Besser ist, sie wissen es nicht.'
Einige meiner Kameraden schimpften, wie ich mich denn mit einer Jüdin unterhalten konnte. Aber ein Kamerad hatte unsere Unterhaltung mitangehört, stellte sich dann auf meine Seite. Wir überlegten, ob wir den armen Menschen wohl etwas anbieten könnten. Die Frau hatte ja auch gehört, wie die Kameraden mich getadelt hatten.
Ich fragte: ,Können wir Ihnen etwas zu trinken und zu essen geben?' Ihre Antwort: ,Nein, wir nehmen nichts an.' An dem Güterwagen war zu ersehen, daß er aus Holland kam. Unsere Lok hängte wieder an, es ging weiter nach Polen. Als ich 1948 aus der Gefangenschaft kam, las ich in einem Heftchen über Edith Stein. An ihrem Foto erkannte ich dann die Schwester vom 7. August 1942 wieder. Als ihr Todestag wird der 9. August 1942 angegeben.
Vom Auschwitz-Komitee wissen wir, wie die Juden, die von den Nationalsozialisten deportiert wurden, starben. Es waren Gleise gelegt bis zu einer Rampe, an der die Todgeweihten aussteigen mußten. Hier begann die sogenannte Selektion. Mütter mit Kindern wurden sofort in Autos verladen und weiter befördert, und dies hieß sicherer Tod. Ebenso erging es den Menschen über fünfzig Jahren, zu denen Edith und Rosa Stein zählten. Die Selektion betraf eigentlich hauptsächlich die Jüngeren. Hier wurde nach Gesundheit und Arbeitsfähigkeit ausgewählt; die nicht zur Arbeit Bestimmten wurden ebenfalls schonungslos weiterbefördert.
Zur Zeit der Tötung Edith Steins gab es in Auschwitz noch nicht die großen Vergasungsräume und Brennöfen. Die Gefangenen wurden nach Auschwitz-Birkenau verfrachtet und gezwungen, sich in den Baracken auszuziehen. Die Vergasungsräume trugen die Aufschrift: Duschraum. Um die Gefangenen zu täuschen und sie ruhig zu halten, wurden sie aufgefordert, sich die Nummern ihrer Kleiderbügel etc. zu merken. Als alle nackt und dicht gedrängt im sogenannten Duschraum standen, wurden Luken und Enclüftungen geschlossen, dann führten SS- Leute durch Löcher, die in die Decke eingelassen waren, Rattengift in den Raum ein.
Nach zwanzig Minuten qualvollen Sterbens durch Ersticken hörten Schreie und Bewegungen auf. Eine in sich verkrallte Masse von toten Leibern bot sich den Augen der Öffnenden. Jüdische Häftlinge wurden gezwungen, die Leichen auseinanderzunehmen, Haare abzuschneiden, Goldzähne auszubrechen und die Leichen zu verbrennen. Diese Arbeitskommandos wurden nach einer gewissen Zeit auch vergast, und neue kamen an die Reihe.
Einem normalen Menschen scheint der Verstand still zu stehen, wenn er diese Berichte liest. Und doch sind diese schrecklichen Dinge unter uns geschehen. Von den Nationalsozialisten wurden sie zwar möglichst verborgen und geheimgehalten, aber vieles drang durch, wurde weitergesagt. Niemand kam den Juden zu Hilfe, weder aus Deutschland noch aus dem Ausland. Mindestens vier Jahre, ungefähr von 1941 bis 1945, dauerte dieses Massaker an, und die Menschen, die daran mitwirkten, waren nicht geisteskrank und gestört, aber irregeleit~t und von einer Art Massenpsychose erfaßt. Die Judenausrottung bleibt, selbst wenn ihre Wurzeln nicht nur in Deutschland liegen, eine Schandtat unseres Volkes, die nie verdrängt werden kann und darf. Wir können nur wachsam sein, daß es niemals wieder zu einer derartigen Menschenverachtung kommt.
Noch heute kann man die Todeslisten lesen, auf denen die Nationalsozialisten ihre Opfer registrierten. Wie benommen liest man neben den Namen der Opfer die Berufe oder Standes Bezeichnungen: Büroangestellter, Ordensschwester, Wissenschaftlicher Übersetzer, Ehefrau, Fruchtexporteur, Ehefrau, Lehrerin, Angestellte usw. Auch viele Kinder sind darunter. Diese Menschen sehen uns heute an und fragen uns: Was tut ihr, daß solches nie mehr geschieht? Was tut ihr, daß unser Schicksal nie vergessen wird, sondern als Mahnmal dasteht, um die nachkommenden Generationen vor solchen Gefahren zu warnen?