100 Jahre alter ehemaliger Wachmann des KZ Sachsenhausen angeklagt
08.02.21
Beihilfe zum Mord in 3.518 Fällen: Das wirft die Staatsanwaltschaft Neuruppin einem ehemaligen Wachmann des Konzentrationslagers Sachsenhausen vor - und hat nun Anklage gegen den inzwischen 100-Jährigen erhoben.
Die Staatsanwaltschaft Neuruppin hat gegen einen ehemaligen Wachmann des Konzentrationslagers Sachsenhausen Anklage wegen Beihilfe zum Mord in 3.518 Fällen erhoben. Das bestätigte das Gericht auf Anfrage des Norddeutschen Rundfunks (NDR) [tagesschau.de].
Der inzwischen 100 Jahre alte Mann soll demnach zwischen 1942 und 1945 im Konzentrationslager Sachsenhausen "wissentlich und willentlich" an der Ermordung von Lagerinsassen mitgewirkt haben. Er habe bis 1945 dem Wachbataillon des Lagers angehört.
Der Beschuldigte lebt nach NDR-Informationen in Brandenburg. Die Staatsanwaltschaft halte den Mann trotz seines hohen Alters für verhandlungsfähig. Das Landgericht Neuruppin müsse nun entscheiden, ob es die Anklage zulasse, so der NDR.
Der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, sagte über die Anklage des ehemaligen KZ-Wachmannes: "Für die hochbetagten Überlebenden der deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager ist auch dieser Prozess ein wichtiges Beispiel dafür, dass die Gerechtigkeit kein Verfallsdatum kennt und die Verfolgung der SS-Täter auch im hohen Alter kein Ende finden darf."
Wachdienst in Vernichtungslagern gilt als Beihilfe zum Mord
Eine Strafverfolgung wegen NS-Verbrechen ist in Deutschland nur noch wegen Mordes oder Beihilfe dazu möglich, andere denkbare Vorwürfe wie Freiheitsberaubung oder Körperverletzung sind verjährt. Der Wachdienst in einem NS-Konzentrationslager allein reicht nicht aus. Nur bei Todes- und Vernichtungslagern, deren Zweck die systematische Tötung sämtlicher Gefangener war, gilt nach deutschen Rechtsprechung bereits die Zugehörigkeit zur Wachmannschaft auch ohne konkretere Tatnachweise als Mordbeihilfe.
Entlang dieser Linie fällten deutsche Gericht zuletzt mehrere Urteile gegen frühere SS-Wachmänner, der Bundesgerichtshof bestätigte diese Praxis höchstrichterlich. Die Urteile betrafen Einsätze in den Vernichtungslagern Auschwitz-Birkenau und Stutthof. Die Angeklagten wurden dabei jeweils wegen Beihilfe zu Mord in tausenden Fällen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.
Ermittlungen wegen Verbrechen in Konzentrationslagern gehen zurück
Die Zahl der bundesweiten Ermittlungen gegen Beschuldigte, denen Verbrechen während der NS-Herrschaft in Konzentrationslagern vorgeworfen werden, geht zurück.
Derzeit liefen noch neun Ermittlungsverfahren bei deutschen Staatsanwaltschaften, sagte der Leiter der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg, Thomas Will, der "taz" (Montag). Noch im November des vergangenen Jahres waren es demnach 13 solcher Verfahren.
Vernichtungsanlage im KZ Sachsenhausen
Nach Angaben der Gedenkstätte Sachsenhausen waren in dem Konzentrationslager zwischen 1936 und 1945 mehr als 200.000 Menschen inhaftiert. Zehntausende Häftlinge kamen durch Hunger, Krankheiten, Zwangsarbeit, medizinische Versuche und Misshandlungen um oder wurden Opfer von systematischen Vernichtungsaktionen. Ab Frühjahr 1942 wurde dort eine Vernichtungsanlage mit Genickschussanlage, Gaskammer und Krematorium errichtet, so die Gedenkstätte.
Als die Rote Armee näher rückte, wurde das Konzentrationslager evakuiert. Auf den Todesmärschen starben noch einmal Tausende Häftlinge. Als sowjetische und polnische Einheiten das Lager im April 1945 befreiten, fanden sie noch etwa 3.000 Menschen dort vor.
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