Ehemaligem KZ-Wachmann wird vor dem Landgericht Neuruppin Prozess gemacht
02.08.21
Ein Hundertjähriger muss sich wegen Beihilfe zum Mord in 3.518 Fällen vor dem Landgericht Neuruppin verantworten. Ab Oktober soll dem ehemaligen Wachmann des KZ Sachsenhausen der Prozess gemacht werden. Er ist aber nur begrenzt verhandlungsfähig.
Fast acht Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkriegs kommt es erneut zu einem NS-Prozess. Ein ehemaliger Wachmann des Konzentrationslagers Sachsenhausen muss sich ab Anfang Oktober vor Gericht verantworten. Das Landgericht Neuruppin habe die Anklage zugelassen und ein medizinisches Gutachten die Verhandlungsfähigkeit des inzwischen Hundertjährigen bejaht, teilte Gerichtssprecherin Iris de Claire am Montag mit.
Zuvor hatte die "Welt am Sonntag" berichtet. Der Beschuldigte soll für zwei bis zweieinhalb Stunden am Tag verhandlungsfähig sein, sagte Gerichtspräsident Frank Stark der Zeitung. Nach einem Bericht des NDR aus dem Frühjahr lebt der Hundertjährige in Brandenburg.
Der ehemalige SS-Wachmann soll laut Anklage der Staatsanwaltschaft durch seine Tätigkeit im Hauptlager des ehemaligen KZ von 1942 bis Februar 1945 wissentlich und willentlich Hilfe zur grausamen und heimtückischen Ermordung von Lagerinsassen geleistet haben. Dabei soll es unter anderem um die Erschießung von sowjetischen Kriegsgefangenen im Jahr 1942 und Beihilfe zur Ermordung von Häftlingen mit dem Giftgas Zyklon B gegangen sein. Angeklagt ist Beihilfe zum Mord in 3.518 Fällen.
Wachdienst in Vernichtungslagern gilt als Beihilfe zum Mord
Eine Strafverfolgung wegen NS-Verbrechen ist in Deutschland nur noch wegen Mordes oder Beihilfe dazu möglich, andere denkbare Vorwürfe wie Freiheitsberaubung oder Körperverletzung sind verjährt. Der Wachdienst in einem NS-Konzentrationslager allein reicht nicht aus. Nur bei Todes- und Vernichtungslagern, deren Zweck die systematische Tötung sämtlicher Gefangener war, gilt nach deutscher Rechtsprechung bereits die Zugehörigkeit zur Wachmannschaft auch ohne konkretere Tatnachweise als Mordbeihilfe.
Das KZ Sachsenhausen bei Oranienburg (Oberhavel) war auch ein Vernichtungslager, in dem Tausende sowjetische Soldaten sytematisch exekutiert wurden und Experimente mit Vergasungen stattfanden [sachsenhausen-sbg.de]. Es wurde 1936 in Betrieb genommen. Bis zur Befreiung durch die Rote Armee am 22. April 1945 waren dort mehr als 200.000 Menschen inhaftiert. Zehntausende starben durch Krankheit oder wurden ermordet. Etwa 30.000 Menschen starben auf Todesmärschen kurz vor Kriegsende.
https://www.rbb24.de/politik/beitrag/20 ... hmann.html